Rezension: Elisa Asenbaum: interirdisch von Helmuth Schönauer

interirdisch
Was für eine Verknüpfung des horizontalen Himmelsgewölbes mit einer vertikalen Tiefbohrung in den Untergrund! – In manchen Mundarten wird das Wort „interirdisch“ wie selbstverständlich verwendet, um das Sichtbare mit dem Unsichtbaren zu verknüpfen.
Elisa Asenbaum- stellt mit „interirdisch“ ein Projekt vor, in dem Gedichte und Bilder stets aufs Neue verknüpft werden. Gespeist wird dieses fragile Kunstwerk für den radikalen Augenblick der Realisierung aus einem Textdepot mit etwa vierzig Einzelgedichten, sowie einem Zyklus „Freefly“. Diesen Gedichten stehen zwölf mit römischen Ziffern nummerierte Bilder aus der Serie „interirdisch“ gegenüber, wobei witzigerweise statt der Elf eine Dreizehn auftaucht. Selbst das fragilste Konstrukt braucht eine Dreipunkt-Auflage, um halbwegs gesichert den nächsten Augenblick zu überleben, weshalb als dritte Komponente kursive Texte aus der Wissenschaft eingefügt sind. Dabei geht es um Versuchsanordnungen, Experimente mit Raum und Zeit, und Essay-Entwürfe für eine befreite Gesellschaft.
Im Vorwort streicht Herbert J. Wimmer ein paar denkbare Definitionen für das Konzept heraus, am poetischsten erscheint dabei die Fügung: „Wir reden über Muster im Lebensteppich.“ (7) Assoziativ werden nach dieser Lesart die Stränge Literatur, Wissenschaft und Kunst zusammengeflochten.
Bei assoziativ arbeitenden Konzepten lohnt es sich, eine Art Rahmen zu definieren, in den die einzelnen Reaktionsvorgänge eingearbeitet sind wie die Kettenreaktion bei einem Reaktor.
So arbeitet sich der Zyklus „Freefly“ mit poetischen Knisterpunkten über die Freiheit durch Szenen, worin die persönliche Freiheit auf die Befreiung von der Gesellschaft trifft.
„ich möchte frei sein / von den gesellschaftlichen Zwängen / von den Grenzen meines Körpers /von den materiellen Sorgen / ich möchte frei sein von der Schwerkraft / und … fliegen!“ (97) Diesem Wunsch ist ein Bild der Beschleunigung beigefügt, worauf es ähnlich der berüchtigten Rotverschiebung zu einer Schwarzweiß-Verschiebung kommt, ein kugeliges Etwas, ein Meteorit oder ein Teil einer Zelle oder was, bewegt sich mit Kondensstreifen der Beschleunigung von links nach rechts.
Das Gedicht wäre vor kurzem noch als esoterische Morgenübung zur Befreiung durchgegangen, mittlerweile sind die unschuldigen Begriffe freilich alle vom Ende der Welt her zu denken. Im Kontext der Klimakatastrophe gilt der Wunsch nach „fliegen“ als Verballhornung ehemaliger Freiheitsträume.
Oft sind kursiv auf der linken Buchseite Texte der Wissenschaft eingestreut, einem Beitrag über Wolkenbildung und Kernfusion (18) steht dann ein mit „Werdestrom“ überschriebener Empfindungstext gegenüber, der die Auswirkungen der physikalischen Versuchsanordnung auf die „Versuchsauswirkung am eigenen Körper“ zeigt.
„Werdestrom // kalt kalt / der Wald der Wolken / walken / kein Wollen / kein Welken / kontrahieren es im Kühl / klüftend klumpt der Stoff / ‘Wasser_Stoff’“ (19)
Bei assoziativer Lektüre verknüpfen sich bekanntlich nie die Gesamten Texte miteinander, sie würden dann die Konsistenz eines Fließtextes aufweisen, sondern einzelne Elemente springen jeweils aus dem Gedicht und verkleben sich mit Schlüsselbegriffen des nächsten Textes, und so fort.
Eine solche Assoziationskette lässt sich je nachrTagesversfassung stets neu aufbauen und über die Grundtexte legen.
„ Zwischen wirklich (14) - Nie sind wir ganz  16 – Dort (23) - Ein-fall (30) - zwischenzeitig irdisch (46) - Bleibende Blätter (55) Geisthüllen (67) - Spiele ohne Brot (75) - Das falsche Wort (79)“
Vermutlich wird sich jeder Leser insgeheim eine solche Assoziationskette schmieden, in deren Glieder er seine persönlichen Erwartungen hineinlegt, die später durch den Originaltext ergänzt oder dekonstruiert werden.
Die bleibenden Blätter beispielsweise sind für einen Archivar das höchste Gut, das eine botanische Saison hervorbringen kann, das flüchtige Zellgewebe für die Produktion von Sauerstoff wird in den Händen des Archivars zu einem beständigen Auskunftsblatt, auf dem verzeichnet ist, was eine Gesellschaft für fix gehalten hat.
Das falsche Wort ist ohnehin nur persönlich zu stigmatisieren, im Gedicht sind freilich hilfreiche Falschheiten angeführt wie sie leicht entstehen, wenn man Lesefehlern aufsitzt.
„Muntermund >< Muttermund; Wirrschaft >< Wirtschaft; Ausschluss >< aus Schluss“ (79)
Ein Rezensent wird sich aus dem „Spiele ohne Brot“ ein Verfahren zum Dechiffrieren von Gedichten herausklauben, ehe er dann vom Original korrigiert wird: „Das Werk verwerfen / Du kommst nicht? /Denn sehen wäre leblos / Mein Anruf ist hinweg“ (75) Hier löst sich offensichtlich ein Werk beim Spiel zwischen urhebender und rezipierender Person in Nichts auf, ein Spiel ohne Brot, vergleichbar mit einem Aufstrich, der keine Unterlage hat.
Elisa Asenbaum gelingt es, „interirdisch“ in die Leser einzudringen und ihnen Verfahrensweisen, Verknüpfungen und Verstörungen zu implementieren, damit sie die Texte irritiert vergnüglich lesen.
 
Elisa Asenbaum: Interirdisch. Gedichte. Bilder. Mit einem Vorwort von Herbert J. Wimmer.
Wien: Edition fabrik.transit 2023. 124 Seiten. EUR 20,-. ISBN 978-3-903267-50-3.
Elisa Asenbaum, geb. 1959 in Wien, ist Begründerin der G.A.S.-station Berlin.
Helmuth Schönauer 08/05/23