Yi Sha 伊沙
ÜBERQUERUNG DES GELBEN FLUSSES 1 車過黄河
Band 1 Gedichte (1988-2009)
Übersetzt von Martin Winter 維馬丁
Zweisprachige Ausgabe Chinesisch/Deutsch
Mit einer Kalligrafie und zwei Grafiken von Yi Sha

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14 x 22,4 cm, Broschur
354 Seiten, 2 s/w-Abbildungen
Erschienen im Juli 2016
ISBN 978-3-9504068-5-6

 

 

Beschreibung

《車過黄河》 ÜBERQUERUNG DES GELBEN FLUSSES - Yi Shas erstes Buch auf Deutsch erscheint in zwei Bänden in Wien

詩可以群 sagte Konfuzius. Gedichte und Lieder sind für die Gemeinschaft. 詩终不群 schreibt Yi Sha. Poesie ist letzlich nicht kollektivierbar. Das war ein Motto auf der Jahresausstellung der Universität für Angewandte Kunst in Wien von 2015. Yi Sha 伊沙 war schon fünf Mal in der NZZ, seit 2013. Er war auch in der FAZ und in vielen anderen Medien, ist in Arizona und in Vermont, in Schweden und England, in Rotterdam, Wien und Graz aufgetreten.

“Ich kann nie länger dichten/ als solange ich dichte/ Wenn das Gedicht geschrieben ist/ bin ich kein Dichter” - Erich Fried (埃里希·傅立特). Fried schrieb viele Gedichte, sein ganzes Leben. Yi Sha 伊沙 schreibt sehr viele Gedichte. Manchmal wie Ernst Jandl (恩斯特·楊德尔, auch transliteriert als 恩斯特·杨豆 ). Nach 1989 etwa: “mmmein stttotternder mund/ bbehindderter schlund/ [...]/ mmaschinengewehrsalven/ das tut so gut” 《结结巴巴》. Oder auch “DOKUMENTATION: GRABLIED AFRIKANISCHER MENSCHENFRESSER” 《實錄:非洲食葬憶儀式上的挽歌部分》, im klassischen Chinesisch des Qu Yuan 屈原 von vor über 2000 Jahren. Wie soll ich das übersetzen? Ein extremes Beispiel. Aber auch mit ein Grund für eine zweisprachige Ausgabe.

Yi Sha ist aus Xi’an 西安. Terrakottakrieger, dutzende Dynastien. Sein Vater ist Naturwissenschafter, aber Yi Sha wächst in Slumgassen auf. Kulturrevolution 大无产阶级文化革命. Yi Sha ist 1966 geboren. Er hat 1989 bei den Protesten in Peking mitgemacht. Damals und lange später kannte er weder Erich Fried noch Ernst Jandl. Von Jandl gibt es nach wie vor kein Buch auf Chinesisch, außer “fünfter sein" 第五个, das ist ein Bildband mit nur einem Gedicht.

Aber Yi Sha hat Österreich als Kind erlebt, gewissermaßen. In jugoslawischen, rumänischen Filmen. Die Donau. Das Massaker vom 4. Juni 1989 in Peking beschreibt er als Augenzeuge, indem er den klassischen Film “Walter verteidigt Sarajewo (Valter brani Sarajewo)” zitiert. 《保衛薩拉熱窝》. So etwas kann gedruckt werden, in China. Ein Gedicht von 1989. Ein klassischer europäischer Film, gedreht 1972. Jeder weiß, was gemeint ist. Naja, nicht alle Lesenden in Europa oder in China kennen den Film. Ich hatte irgendwann etwas davon gesehen. Im Fernsehen, irgendwo. Musste aber auch nachschauen, googeln. Obwohl ich als Kind in Jugoslawien war.

Aber Sarajewo 1989, das ist sehr nah. Sarajewo hat in den 1990er Jahren gebrannt. China und Europa sind einander näher, als man glauben möchte. Wer das nicht aushält, wer immer nur Fremdes, Exotisches, etwas ganz Anderes sucht, sollte Yi Sha nicht lesen. “RAUCHERERINNERUNG/ ich war sechs jahre alt/ hob die kippe auf die er wegwarf/ der stummel brannte noch/ ich saugte meine augen wurden zu strichen/ später rauchte ich noch viele sorten/ behielt dabei immer den gleichen ausdruck/ die erste lust diese freude/ das erste mädchen/ ihren namen weiß ich für immer" 《煙民的回憶》. Das ist von 1990.

Oder noch etwas, auch von 1990: “die bourgeoisie/ wirft uns um/ mit zuckerüberzogenen/ kugeln/ in der theorie// in wirklichkeit/ besteht das proletariat/ nicht aus leichtgläubigen/ kindern/ ...” 《事實上》. Yi Sha schreibt den Alltag auf. So, dass man/frau sehr viel wiedererkennt. Mit Staunen, Grinsen, Lachen. Mit Schreck. Ein Familienroman. Ein Familienroman aus dem Alltag des heutigen China. Das sind Yi Shas Gedichte. Fußball. Krebs. Pfeifen. Ein Stück des blinden Straßenmusikers A Bing 阿炳 《二泉映月》, in einer unterirdischen Fahrradgarage.

Martin Winter, Übersetzer

Wien im Juni 2016

Band 1 erhielt den Übersetzungspreis 2016 vom Bundeskanzleramt Österreich Kunst und Kultur

Textprobe Band 1
Rezension von Rainald Simon auf FIXPOETRY
Radiosendung Frankfurter Buchmesse 2017